Wenn Vögel vögeln

4.47 Uhr. Ein Geräusch reißt mich aus dem Schlaf. Sind das Einbrecher? Ein gurren verrät mir: es ist viel schlimmer. Es sind Tauben. 

Ich hasse Tauben. Doch das war nicht immer so. Es ist keine fünf Monate her, da habe ich diese „Vögel der Liebe“ auf unserem Balkon beim Nestbau entdeckt. Wie goldig, dachte ich. Es war Winter und unser Balkon war zu dieser Zeit sowieso nichts weiter als ein zweiter Kühlschrank. Natürlich dürfen die Tauben da zwischen Tannenzäpflebier und Fruchtzwergen nisten. So würden wir alle Meilensteine der taub´schen Familiengründung miterleben: den Nestbau, das Ausbrüten der Eier, das Schlüpfen und wie die Jungen flügge werden. Dann sollte ich, gemäss http://www.meinetaubeundich.de, möglichst schnell das Nest entfernen. 

Doch spätestens da kippte die Stimmung. Tauben in der Stadt haben nichts gemein mit Tauben auf dem Land. Sie schneiden dir den Weg ab, kacken absichtlich auf deinen Kopf und drohen mit ihrer ganzen Gang. Kein Vergleich zu anderen Vögeln, wie beispielsweise Hühner, die voller Misstrauen sind. Warum auch nicht, schliesslich werden 100% ihrer Spezies von uns ermordet. 

Auf unserem Balkon waren aber leider keine Hühner, dann würde diese Geschichte mit täglich frischen Eiern enden (und Sonntags auch mal zwei). Auf unserem Balkon waren Tauben, und so sollten sich dort in diesem Frühjahr brutale Szenen abspielen. 

Denn noch bevor ich das Nest entfernen konnte, entdeckte ich darin neue Eier. Doch ich war entschlossen, meinen Balkon zurückzugewinnen. Ein Sommer ohne Balkon wäre etwa so beschissen wie, naja, unser vollgeschissene Balkon. Nach Rücksprache mit dem Taubenschutzverein ersetzte ich die Taubeneier durch Atrappen beziehungweise – aus Zeitmangel – durch dekorative Plastik-Ostereier. Die Taube mit ihrem Spatzenhirn wurde nicht mal misstrauisch, obwohl ihre Eier plötzlich glitzernde Pünktchen und einen home24-Kleber aufwiesen. Doch Hauptsache, sie kann ihren Bruttrieb ausleben.

Einige Tage später kam dann mein Mann zum Einsatz: er musste im Angesicht des Todes und der Tauben, die ihn im Sturzflug bedrohten, das Nest entfernen. Ich musste, zugegeben, laut lachen. Dafür bekam ich bereits am nächsten Tag die Quittung, denn ich saß vier Stunden in der Taubenscheisse, um den Balkon sauber zu schrubben. Doch wer bis zum Hals in Scheisse steckt, sollte den Kopf nicht hängen lassen.

Und so haben wir es geschafft. Die Tauben sind umgezogen, auch wenn nur auf den nächsten Balkon. Unsere Nachbarn werden alle Meilensteine der taub´schen Familiengründung miterleben. Sie freuen sich. Noch.

Erschienen in der LIEWO am 12.6.2022

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