Addition, Multiplikation, Kapitulation

Wie eine Hyperschallrakete fliegt der angeknabberte Bleistift meiner 9 Jährigen durch das Zimmer und verfehlt mich nur knapp. „Mir egal, wenn ich die Prüfung verkacke!“ murrt sie frustriert. Ich kann mich sehr gut reinversetzten in dieses Mädchen, das zwar körperlich vor ihrem Matheheft sitzt, geistig aber ganz weit weg ist. Es scheint, als hätte sie nicht nur meine unsagbar vielen, unsagbar guten Eigenschaften geerbt, sondern auch meine grenzenlose Abneigung gegen das Lernen.

Ich war das, was vielen Lehrern Gänsehaut bereitet, aber nicht im positiven Sinne. „Desinteressiert“ war das Wort, das regelmässig in meinen Schulzeugnissen stand. Beim ertönen der Schulglocke schaltete mein Gehirn in den standby-Modus, bis die Schulstunde vorbei war. Mein Französischbuch war vollgekritzelt mit schlüpfrigen Zeichnungen von Luc Tonnerre, Rechengesetze waren nur unverbindliche Vorschläge und mein Religionsbuch war so unberührt wie die Mutter Jesu. Für mich war Unterricht wie Olympia – dabei sein ist alles. Dieses Motto galt auch für die vielen Prüfungen, die für mich immer völlig überraschend kamen.

Am meisten hasste ich Mathe. Wenn in der Klasse alle darüber diskutierten, ob das Ergebnis 31 oder 32 ist und ich auf -1724 kam, hätte ich mich am liebsten mit meinem Zirkel erstochen. Wenigstens war ich mit meinem Frust nicht alleine, denn fünf von vier Menschen hassen Mathe. 

Wenn es nötig war, konnte ich aber rechnen. So habe ich gegen Ende jedes Semesters herausgefunden, welche Note ich benötige, um nicht sitzen zu bleiben – und mit welchem Mindestaufwand ich diese Note erreiche. Wenigstens in einer Sache war ich maximal motiviert: im Minimalismus.

Erschienen in der LIEWO am 19.4.2022

#StandWithJanineAusDetmold

Seit zwei Wochen ist in Europa alles anders. Nicht, weil Jürgen Drews sich den Po hat liften lassen, sondern weil Russland die Ukraine angreift. 

Millionen Menschen sind auf der Flucht, tausende Soldaten sind gefallen, es gibt viele tote Zivilisten, darunter auch Kinder. Es sind schlimme Nachrichten, die selbst diejenigen, die sonst bemerkenswert immun gegen schlimme Nachrichten sind, betroffen macht.

So auch Janine aus Detmold. Sie wurde wachgerüttelt, als sie Morgens mit ihrem SUV zur Aral-Tanke um die Ecke fuhr und mit grösstem Entsetzen feststellte, dass der Benzinpreis auf ein Rekordhoch gestiegen ist. Ihre Verzweiflung war gross, schliesslich hat nicht nur die Bevölkerung in Mariupol durst, sondern auch ihr SUV. Verzweifelt entschied sie sich zum Kampf gegen die Ungerechtigkeit und schrieb auf Facebook „Benzin wird immer teurer – was muss denn noch alles passieren, bis unsere Regierung was unternimmt?“

Liebe Janine, du sollst wissen: ich bin da. Ich werde mich zwischen die nervigen Demonstranten mit ihren „Stoppt den Krieg“ Pappschildern stellen und sie mit meinem Mega-Banner „Stoppt diesen Wahnsinn – senkt die Benzinpreise“ verdrängen. Ich werde fordern, dass alle finanziellen Hilfen an die Ukraine mit sofortiger Wirkung zu dir umgeleitet werden. Genauso Lebensmittel- und Kleiderspenden, denn solange die Benzinpreise so hoch sind, wirst du ja bestimmt nicht zum Einkaufen fahren wollen. 

Alternativ könntest du aber auch einfach nach Russland auswandern, dort sind die Benzinpreise nämlich gerade sehr tief. Deal?

Erschienen am 10.4.2022 in der LIEWO