Sydney Confidential

Seit ich zum ersten mal L.A. Confidential gesehen habe, ist Russell Crowe für mich der Mann der Männer. Schönlinge wie Brad Pitt oder Leonardo di Caprio können einpacken neben diesem charismatischen Raubein. Seine Schönheitsfehler und Prügeleien verzeih ich ihm  – er ist nicht perfekt und deswegen perfekt.

Als ich mir einst in einem Barista-Laden in Sydney einen Kaffee bestellte, war es einer der wenigen Momente in meinem Leben, in denen ich nicht an Russell dachte. Doch plötzlich wurde es ruhig im Café. Ein Mann, der kein geringerer war als mein Russell, betrat sie Szene. Ich war mir nicht sicher, ob ich träumte oder mich auf ein Filmset verirrt habe und verharrte in meiner Warteposition. Etwas anderes blieb mir auch nicht übrig, denn ich befand mich in einem Zustand der Ekstase, der jegliche Bewegung unmöglich machte. Russell stellte sich neben mich und bestellte einen Flat White, wie es sich für einen richtigen Aussie gehört. Selbstverständlich würde auch ich von diesem Tag an keinen anderen Kaffee mehr trinken. Es war eng in dem Laden und sein linker Arm berührte meinen Rechten. Für einen Augenblick blieb der Sekundenzeiger stehen. Der Barista hörte auf zu schäumen. Die Gäste verstummten und wandten ihre Blicke zu uns. Es war eine Berührung, die meinen ganzen Körper durchströmte, ohne Umwege bis zu meinem Herzen. Natürlich entschied ich mich, diesen Arm nie wieder zu waschen.

Leider muss ich aber auch berichten, dass Russell nicht so aussah, wie der von L.A. Confidential, den ich so bedingungslos liebte. Neben mir stand etwas mehr von ihm, als ich erwartet hätte. Aber ich besann mich darauf, dass irgendwo in diesem gepolsterten Russell der Russell von damals steckt. Ich brachte natürlich kein Wort heraus und genoss einfach nur den andächtigen Moment – diese intime Zweisamkeit. Ich bin mir sicher, ihm ging es genau so. Irgendwann ging wieder jeder von uns seiner Wege und ich dachte mir, wenn er mich wirklich liebt, wird er mich finden. Ich warte immer noch. 

Erschienen in der LIEWO am 22.5.2019

Fusselfetisch

Die Menschen haben viele grossartige Dinge erfunden. Ein Leben ohne Internet, das Auto oder den Bananenschneider ist Heute unvorstellbar. Doch es gibt eine Erfindung, die alle anderen in den Schatten stellt, und von dieser will ich Heute erzählen.

Es war an einem verregneten Tag im Oktober, als mein Mann in unserem Wohnzimmer etwas fürchterliches entdeckte: Fussel. Nicht nur einen, sondern tausende. Sie besiedelten unser neues Sofa wie Blattläuse den Ficus Benjamina. Mein Mann, der zwar in einem Müllcontainer leben könnte, aber über Kleinigkeiten wie Fussel nicht hinwegkommt, machte sich sofort an die Arbeit. Ich beobachtete aus sicherer Distanz, wie er anfing, einen Fussel nach dem anderen auszuzupfen. Er war entschlossen, in den Kampf gegen diese Plage zu ziehen. Meinen Mann so zu sehen, beflügelte nicht unbedingt meine romantischen Gefühle für ihn. Mir war schnell bewusst, dass etwas geschehen musste, ansonsten wird unsere Beziehung die Fusselkrise nicht überstehen. Ich rief sofort bei der Notrufnummer des Herstellers an und erbat um Hilfe zur Rettung unseres Sofas und unserer Ehe. Sie erkannten die Brisanz meiner Lage und sprachen die magischen vier Worte: Sie brauchen einen Fusselrasierer. 

Bereits am nächsten Tag besorgte mein Mann besagtes Wundergerät und versuchte sein Glück. Er hielt den Rasierer ans Sofa, schaltete ihn an und ein leises Surren ertönte. Mit wenig Druck fuhr er über die Problemzonen unseres Sofas und vernahm ein regelmässiges zucken. Schnell war klar: mit jedem Zucken stirbt ein Fussel. Diese Erkenntnis zauberte ein Lächeln auf das Gesicht meines Mannes, das ich so noch nie gesehen hab: rachsüchtig und befriedigt zugleich. Unsere Ehe und unser Sofa waren gerettet, ebenso mein Herbstmantel und das Fell des Nachbarhundes, der sich als Katze herausstellte. Nie wieder würden wir einen Tag ohne Fusselrasierer leben müssen. Das muss sie sein, die vollkommene Glückseligkeit. 

Erschienen in der LIEWO am 13.5.2019