Daheimat

„Ist die Wohnung gut gelegen, in der Nähe vom Brandenburger Tor?“ wurde ich zu Hause gefragt, nachdem ich nach Berlin gezogen bin. Zum Glück lag meine Wohnung ganz woanders, denn am Brandenburger Tor will keiner wohnen. Dort trifft man nur Touristen und Touristenabzocker, während sich die Berliner nicht wirklich dafür interessieren. Natürlich fahr ich trotzdem regelmässig hin. Alle zehn Jahre.

So wie beim Brandenburger Tor ist es bei vielen Sehenswürdigkeiten. Wären sie nicht solche Touristenmagnete, würde es einige von ihnen vielleicht gar nicht mehr geben. Die Franzosen hätten den Eiffelturm längst in einen Strommasten umfunktioniert. Die Italiener hätten die Decke der Sixtinischen Kapelle in den Vereinsfarben von Lazio Rom überstrichen. Und die Liechtensteiner hätten das Schloss in ein Luxus-Casino umgebaut. Mir wäre es früher jedenfalls egal gewesen.

Und jetzt? Meine Güte – bin ich froh, dass es Touristen gibt. Sie reisen extra an und bewundern das Schloss, auch wenn sie manchmal nicht merken, dass sie es mit Burg Gutenberg verwechseln. 

Auch ich stand neulich inmitten vieler Touristen und fotografierte das (richtige) Schloss, weil das Sonnenlicht so schön darauf fiel. Und da drängte sich mir die Frage auf: Bin ich in Liechtenstein inzwischen mehr Touristin als Einheimische? Wäre ich früher auch auf die Idee gekommen, das Schloss zu fotografieren? Wahrscheinlich nicht. Doch solange ich nicht mit einer Reisegruppe im Citytrain durch Vaduz fahre, ist alles in Ordnung.

Erschienen in der LIEWO am 16.12.2022

Hinterlasse einen Kommentar