Herr der Fliegen

Zeit für sich zu haben ist ein seltenes Gut, wenn man Kinder hat. Deswegen bin ich immer bemüht, diese kostbaren Momente maximal auszunutzen. Als es neulich mal wieder soweit war, setzte ich mich mit einer Zeitung in mein Lieblingscafe, bereit für ein paar entspannte Augenblicke. Doch dann kam Renate.

Renate war – sie ahnten es bereits – eine Fliege. Allerdings keine gewöhnliche Fliege, die hin und wieder an einem vorbei schwirrt, sich ansonsten aber um ihre eigenen Angelegenheiten kümmert. Nein, Renate war anders. Sie surrte penetrant um mich rum, als wüsste sie, wie kostbar meine Zeit ist. Keine Frage: sie tat es mit Absicht. Nur kurz setzte sie sich zwischendurch hin und rieb sich die Hände voller Freude über meine aufkeimende Aggression. Innerhalb weniger Minuten wandelte sich meine Einstellung von „wir sind alle Geschöpfe Gottes“ zu „Stirb langsam und qualvoll, Renate“. So formte ich schon bald meine Zeitung zu einer Waffe und schlug nach ihr. Doch so sehr ich mich auch bemühte, ich erwischte sie nicht. Renate war nicht nur durchtrieben wie ein Fuchs, sondern auch reaktionsschnell wie eine – naja, eine Fliege. Ich befand mich am Rande des Wahnsinns. Muss ich in ihren Windschatten kommen, um sie zu töten? Oder brauch ich einen Abfangjäger? Nein, ich brauchte Steffen.

Steffen arbeitete in dem Café und beobachtete das dramatische Schauspiel. Nach ein paar für ihn recht amüsanten Minuten kam er mir zur Hilfe. Mit Steffen, der die Schlagkraft eines Kickboxers und eine Fliegenklatsche besass, stand es nun schlecht um Renate. Bereits beim dritten Versuch erwischte er sie. Steffen, mein Held. Ich liess mich erleichtert in meinen Sessel fallen.

Nicht so erleichtert war ich, als Steffen – im Glücksrausch seines Triumphes – Renate neben mir an der Wand kleben liess. Ein Bein und ein Flügel standen ab, ansonsten war sie platt. Es sah nicht hübsch aus. Ist das ein Mahnmal für alle anderen Fliegen? Oder will er ihr einen Sarg zimmern? Sie einrahmen? Ich wusste es nicht und es war mir auch egal – Renate hat meinen Nachmittag sowieso schon versaut. Ich war am Ende, auch wenn nicht so sehr, wie Renate. 

Erschienen in der LIEWO am 10.6.2019

FKK, UVA und UVB

Die Ostsee ist – abgesehen vom Sofa – das beliebteste Naherholungsgebiet der Berliner. Dort verbringt man den Urlaub in Ortschaften wie Sassnitz und Ückeritz, die zwar wie fiese Kinderkrankheiten klingen, aber sehr idyllisch sind. Inzwischen habe ich schon so manchen Urlaub da verbracht und dabei festgestellt, dass die Ostsee exotischer ist, als so manches ferneres Reiseziel.

Ein Ruf eilt den deutschen Badestränden voraus: alle sind nackt. Die FKK-Bereiche beschränken sich aber glücklicherweise auf gekennzeichnete Strandabschnitte. Trotzdem kommt es gelegentlich vor, dass die sonst so regeltreuen Deutschen mal ihren Strandabschnitt verlassen, ohne den kleinen Aussenminister wieder einzupacken. Doch es scheint keinen zu stören. Wer kuckt, will sehen. Alle anderen kucken weg.

Eine weitere Eigenschaft der Ostsee ist, dass sie ein deutlich kühleres Klima hat, als das Mittelmeer. Das im Hochsommer kaum über 16° warme Wasser fühlt sich an, als würde man nach der russischen Sauna in den halb zugefrorenen Baikalsee springen. Kinder hüpfen allerdings in die kalten Wellen, als wäre es das Planschbecken im Freibad, das aus unerfindlichen Gründen immer wärmer ist, als das Erwachsenenbecken.

Wer nicht ins Wasser will, kann es sich am Strand gemütlich machen. Dort lauscht man den billigen Musikboxen der Strandnachbarn und bekommt beinahe das Gefühl, Helene Fischer sei gesellschaftlich akzeptiert. Der Gemütszustand des Ruhesuchenden schwankt dabei zwischen Erholung und dem Wunsch, an einer Fischgräte zu ersticken, damit diese Qualen enden. Zum Glück ist Berlin nicht weit, denn es ist das beliebteste Naherholungsgebiet der Ostseetouristen.

Erschienen in der LIEWO am 5.6.2019