Ach stick dich doch ins Knie

Das einzig gute am Textilunterricht in der Primarschule war, dass ich immer ein Geschenk für meine Eltern hatte. Meine Mama wurde einst mit Socken beschenkt, von denen die eine Grösse 22 und die andere Grösse 54 hatte. Dennoch bewunderte sie das ungleiche Paar, als hätte ich die neueste Armani-Kollektion geschneidert. Mindestens so sehr freute sich mein Papa über die seidenbemalte Krawatte, die in allen erdenklichen Farben leuchtete. Er trug sie sogar zu einem wichtigen Anlass, zumindest bis er im Auto sass. Ich hatte ganz klar diesen Bonus, den man als Kind hat: Das Geschenk ist hässlich, aber es ist selbstgemacht, und das zählt.

Hat man diesen Bonus auch noch mit 37 Jahren? Diese Frage drängte sich mir am Abend vor dem Geburtstag meines Mannes auf, als ich verzweifelt mit Nadel und Faden auf dem Sofa sass. Einige Tage zuvor hatte ich die glorreiche Idee, ein Shirt für ihn zu besticken, trotz 30-jähriger Handarbeitsabstinenz – es wird schon schief gehen. Und das tat es auch. Das Shirt hatte drei Löcher und die fünf Motive, die ich darauf stickte, waren schief. Zudem blutete ich aus zwei Fingern. Doch ein Abbruch des Projektes war aufgrund Zeitmangels keine Option – ich hing an der Nadel. Ich musste mir verkneifen, mit selbiger auf das Shirt einzustechen wie ein blutrünstiger Killer. Mein Mann sass im Nebenzimmer und hörte mich in regelmässigen Abständen fluchen. In seiner Barmherzigkeit bot er mir mehrfach an, das ihm unbekannte Projekt abzubrechen – er brauche kein Geschenk. Doch ich entschied mich, dass ein schlechtes Geschenk immer noch besser ist, als gar keins, und zog das Projekt – und den Faden – weiter durch.

Glücklicherweise kann ich berichten, dass man den oben erwähnten Bonus tatsächlich auch noch mit 37 Jahren hat. Mein Mann konnte die optische Verfehlung des Shirts zwar nicht leugnen, freute sich aber über meine Bemühungen. Er trug es sogar zu einem wichtigen Anlass und sagte, unser jüngstes Kind, fünf Monate alt, hätte es gestickt – keiner hat daran gezweifelt.

Erschienen in der LIEWO am 21.1.2020